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BuchBerlin 2022 - Die Chaosfahrt

Freitag, 16.09.2022

Ziemlich pünktlich gegen zwölf Uhr ging es los – Daniela reiste aus Duisburg an, ich aus Halver. Planmäßig trafen wir uns kurz nach dreizehn Uhr auf dem P&R-Parkplatz Dortmund Bodelschwingh und luden Danielas Krempel in meinen blauen VW Polo, um damit gemeinsam die lange Reise nach Berlin anzutreten. Wir rechneten natürlich mit Stau. Am Freitagnachmittag wäre alles andere völlig utopisch gewesen. Ein Stück gesperrte A2 musste leider ebenfalls berücksichtigt werden. Dennoch zeigte Google Maps uns zunächst erstaunlich wenig Verkehrsbehinderung an. Obwohl der Wochenend-Feierabendverkehr zunahm, kamen wir relativ zügig voran und freuten uns darüber. Die angezeigte Verzögerung wurde zwar stetig länger, doch unser Puffer war großzügig bemessen und ein bis zwei Stunden Stau waren ohnehin einkalkuliert.

Erwartungsgemäß erreichten wir kurz vor Hannover die Verkehrsstockung, die durch die Sperrung der A2 hervorgerufen wurde. Vor dem absehbaren Stillstand wollten wir deshalb noch gern eine kleine Pause einlegen. Also fuhren wir in Garbsen auf den Rastplatz – oder zumindest beabsichtigten wir, es tun. Dank des Staus war die Ausfahrt mit Lastwagen zugeparkt. Der einzig frei scheinende Weg führte uns ... fort von der Autobahn! Leicht verärgert und verwundert folgten wir den Schildern „Rasthof Garbsen“ und landeten auf der Gegenfahrbahn Richtung Dortmund. Grrr. Okay, auch hier gab es den besagten Rastplatz, dem wir unsere Aufwartung machten, um flüssigen Ballast abzuwerfen und die Sanifair-Bons der letzten drei Jahre einzulösen. Schließlich wollten wir auf der Weiterfahrt schlauer sein, die verstopfte Autobahn vermeiden und Google einen anderen Weg suchen lassen, um zu der Stelle zu gelangen, an der wir wieder auf die A2 auffahren durften.

Es folgte eine Odyssee durch Garbsen, um Garbsen herum und an Garbsen vorbei. Wir lachten jedes Mal verzweifelt auf, wenn wir wieder ein Hinweisschild zu diesem Ort erblickten, den wir längst hinter uns gewähnt hatten. In endlosen Schleifen ging es über Land, bevor wir schließlich nach Hannover in die Innenstadt geleitet wurden. Ein wenig verwirrt, weil wir angenommen hatten, dass die Auffahrt, zu der uns das Navi leitete, gesperrt sei, verließen wir uns auf Doktor Google. Die tausend anderen Fahrzeuge, die ebenfalls diese Route nahmen, schienen uns recht zu geben.

Zu spät merkten wir, dass es eine gemein ausgeheckte Falle war, in die wir gemeinsam mit unzähligen weiteren Auto- und Lastwagenfahrer tappten! Die Rache für unsere Google-Manie führte durch ein unglaublich enges, völlig verstopftes Nadelöhr, das für stundenlangen Stillstand in Hannover sorgte. Da ging nichts mehr. Alle mussten diese eine Straße nehmen, von der es kein Entkommen gab. Zwei Stunden für 2,5 km, ein Wendepunkt an einer Ampel, die stets nur drei, höchstens vier Fahrzeuge durchließ, dann die gesamte Stop-and-Go-Schleichfahrt wieder zurück bis zur A2-Auffahrt auf der anderen Seite, die ebenfalls (wie erwartet) gesperrt war ... Ein unentrinnbarer Teufelskreis! Google kannte kein Erbarmen.

Todesmutig scherte ich schließlich aus dem Konvoi des Schreckens aus und fuhr blindlings durch Hannover. Bloß weg von der Blechlawine! Mein Handy bestand darauf, ich solle mich wieder einreihen, aber ich ignorierte es. Ein völlig verzweifeltes Telefonat mit meinem Mann, der am PC die bessere Kartenübersicht besaß, brachte zumindest die Erkenntnis, welche Zufahrt wir eigentlich nehmen müssten, um tatsächlich wieder auf der befahrbaren A2 zu landen. Google zeigte uns beharrlich eine völlig freie Autobahn an und bestand darauf, dass ich die nächstgelegene Auffahrt nehmen sollte. Nun ja, die Fahrbahndecke wurde erneuert, da gab es definitiv keinen Feierabendverkehr ...

Schließlich kam Daniela auf die rettende Idee, ihrem eigenen Handy ein neues Ziel zuzuweisen: ein Hotel nah der gewünschten Autobahnauffahrt. Tatsächlich funktionierte der Trick - wir erreichten ohne großartigen Stau und mit insgesamt nur ungefähr sechs Stunden Verzögerung erneut die einzig sinnvolle Autobahn Richtung Berlin.

Inzwischen war unsere Zeitplanung geringfügig überschritten, die berechnete Ankunftszeit lag nun gegen halb elf Uhr nachts. Wir ließen uns nicht entmutigen.

Entnervt stellten wir irgendwann fest, dass es kurz vor Berlin einen weiteren einstündigen Stau gab, in den Google uns gnadenlos hineinsteuerte. Aber diesmal waren wir gewitzter. Meine Beifahrerin suchte bereits fieberhaft nach einer Alternative, lange bevor wir den fraglichen Bereich erreichten und fand eine Ausweichstrecke, die mindestens eine Dreiviertelstunde sparen würde. Kurz vor Erreichen des Stauendes sprang auch mein eigenes Navi – oh Wunder – von ganz allein auf die neu berechnete Strecke um und wir durften die Autobahn ohne Protest meines Handy-Ratgebers gerade noch rechtzeitig verlassen.

Nach einer nächtlichen Berlin-Sightseeing-Tour von ungefähr 50 Kilometern Länge erreichten wir kurz nach elf die Arena, an der wir planmäßig das Auto parken und zu Fuß zum Hotel laufen wollten. Die späte Stunde sorgte zumindest dafür, dass wir einen ziemlich genialen Parkplatz nah der Messehalle bekamen.

 

Etwas nass genieselt und reichlich erledigt kamen wir kurz vor Mitternacht an unserem Domizil an. Zum Glück durften wir auch ohne Vorzeigen eines Ausweisdokuments einchecken, da ich mein Portemonnaie im Auto vergessen hatte und die drei Kilometer nicht nur wegen eines schmerzhaften Knieschadens ungern noch einmal hin und zurückgelaufen wäre.

Samstag, 17.09.2022

Der Messeaufbau nach einer kurzen, dank offenem Fenster reichlich lauten Nacht gestaltete sich etwas stressiger als gedacht. Das mitgebrachte Steckregal erwies sich als störrisch und rächte einen falschen Aufbau, indem es nach den ersten drei oder vier eingestellten Büchern zusammenklappte. Aber ansonsten lief alles prima. Es gab interessante Gespräche, ein paar Buchverkäufe und viele gutherzige Menschen, die Lose zugunsten der Tabaluga-Kinderstiftung erwarben. Diese freuten sich anschließend über Buch- und Goodiegewinne oder zumindest eine süße Kleinigkeit.

Wir hatten viel Spaß, trafen alte Bekannte, lernten neue Buchmenschen kennen und machten interessante Erfahrungen, zum Beispiel mit den fernöstlichen, gut gewürzten Snacks vom Nachbarstand.

Abends gönnten wir uns Pizza und Salat in der Nähe unseres Domizils sowie ein längeres Gespräch mit einer typischen Berlinerin, die neben uns den Bus verpasst hatte. Was für eine Stadt! Für mich als „Landei“ immer wieder ein Erlebnis.

 

Sonntag, 18.09.2022

Unsere zweite Übernachtung im A&O Friedrichshain war etwas erholsamer und mit mehr Schlaf gesegnet. Die nahe Bäckerei versorgte uns genau wie am Tag zuvor mit leckerem Frühstück, bevor wir mit dem Übernachtungsgepäck bewaffnet, jedoch wesentlich entspannter als am Vortag zur Messehalle wanderten. Der zweite Tag gestaltete sich ebenso interessant und abwechslungsreich wie der erste, verkaufstechnisch sogar etwas ergiebiger. Schließlich ertönte um siebzehn Uhr der Schlussgong, bei dem wir gemeinsam mit allen anderen Ausstellern eilig unseren Krempel zusammenpackten. Der strategisch günstige Parkplatz ermöglichte uns eine zügige Abfahrt, zu der wir uns gegenseitig gratulierten. Immerhin hofften wir auf eine staufreie Rückreise, um vor Mitternacht in heimatlichen Gefilden zu sein. Eine Tankstelle lag ebenfalls auf dem Weg, an der wir genug Sprit für die lange Rückfahrt bunkerten.

Leider gab es trotz des Feiertags sehr viel Verkehr. Ein Stau am Potsdamer Kreuz machte unseren zeitigen Ankunftsplänen endgültig einen Strich durch die Rechnung. Wir fragten uns ernsthaft, wieso halb Berlin am Sonntagabend noch so spät unterwegs sein musste. Einsetzender Regen sorgte für ein zusätzlich angespanntes Fahrgefühl. Dennoch dachten wir, alles unter Kontrolle zu haben.

Kurz hinter Magdeburg zog mein Wagen plötzlich mitten auf der Überholspur nicht mehr. Weder Schalten noch Kuppeln half, wir verloren konstant an Geschwindigkeit und ein bekanntes Symbol in Form einer Heizspirale blinkte unheilverkündend gelb im Cockpit-Display auf. Das hatte es noch nie getan!

Mit einem blöden Gefühl und einem unschönen Wort auf den Lippen bugsierte ich uns quer über alle Spuren auf den Standstreifen. Zum Glück war die Autobahn in diesem Augenblick relativ leer, sodass das befürchtete Hupkonzert ausblieb und uns niemand als Verkehrshindernis rammte. Ich schaltete den Warnblinker an und hoffte, die nächste Ausfahrt zu erreichen, die direkt vor uns lag. Wir folgten in meinem langsamen, ruckelnden und bockenden Polo den Schildern zu einem Autohof und waren sehr dankbar, dass wir heil dort ankamen.

Ein kurzes Blättern in der Bedienungsanleitung verriet, was die blinkende Heizspirale zu bedeuten hatte: Motorstörung. Oh, verd...  Was tun?

„Komm, wir trinken jetzt erst mal einen Kaffee“, schlug Daniela vor. Brav folgte ich ihr ins Warme, allein schon, um die unterwegs eingeworfene Cola wegzubringen. Vom Ballast befreit rief ich meinen Göttergatten an, beichtete ihm die Panne und fragte um Rat.

„Lass den Wagen etwas stehen und versuch es dann noch mal“, schlug er vor.

Okay, ganz ungelegen kam uns die Unterbrechung nicht. So gönnten wir uns um kurz nach einundzwanzig Uhr wenigstens ein verspätetes Abendessen mit leckerem Kartoffelsalat und Frikadelle. Leider brachte auch die Pause nichts – das Blinken hörte nicht auf, der Motor stotterte ebenso arg wie zuvor. So hatte es keinen Zweck! Ich rief den ADAC an. Daniela trank noch einen Kaffee, ich aß derweil ein Frust-Eis. Der Mensch im gelben Outfit kam eine halbe Stunde später und las den Fehlerspeicher aus, während wir bibbernd im Wagen saßen, um Schutz vor dem kalten Nieselregen zu finden.

„Die Einspritzpumpe ist hinüber“, erklärte unser Retter, holte ein kleines Hämmerchen hervor und klopfte im Motorraum herum. Ohne Erfolg.

„Nichts zu machen“, stellte er schließlich achselzuckend fest. „Sie haben ja nur die kleine Mitgliedschaft, da sollten Sie schauen, ob Sie einen Schutzbrief haben. Ich kann nichts mehr für Sie tun.“

Daniela zückte ihre ADAC-Plus-Mitgliedskarte, aber das hatte keinen Zweck, weil ich ja bereits angerufen und den Schaden gemeldet hatte. Hach, dumm gelaufen! Okay, Anruf bei meiner Versicherung, die kaum glauben konnte, dass der ADAC uns nicht half. Aber schließlich versprach die Assistance, einen Abschleppwagen zu schicken, der mein Fahrzeug zur nächstgelegenen Werkstatt bringen sollte. Das hieß erneut mehr als eine Stunde Warten. Wir waren heilfroh über den warmen, gemütlichen Autohof, in dem die Bediensteten alle sehr nett und hilfsbereit waren. Sie boten uns ihr Lokal sogar als Übernachtungsmöglichkeit an, da die Uhr unaufhörlich tickte und Mitternacht immer näher rückte.

Schließlich tauchte der Schlepper auf, der meinen Polo auflud. Wir durften im warmen Führerhaus mitfahren.

„Ich musste noch einen LKW abschleppen, deshalb durften Sie so lange warten“, erklärte der aufgeschlossene Fahrer und düste rasant

Richtung Irxleben zu einem ziemlich vollgestopften Werkstatthof.

In der Zwischenzeit meldete sich die Assistance. Da es Sonntagnacht um zirka dreiundzwanzig Uhr keinen Mietwagen mehr für uns gab, blieb nur eine Übernachtung. Wir rafften die nötigsten Habseligkeiten zusammen und luden sie in den Pick-up unseres Abschleppwagenfahrers. Dieser hatte die freundliche Genehmigung erhalten, uns nach Magdeburg zu bringen, nachdem er mein Wägelchen bei seiner Werkstatt abgestellt und den Hänger abgekoppelt hatte. Es folgte eine noch rasantere Fahrt über die Autobahn und quer durch Magdeburgs Innenstadt bis vor unser neues Domizil, das wir mit großen Augen bestaunten. Meine Versicherung brachte uns auf ihre Kosten im „Maritim“ unter, laut Fahrer „teuerstes Hotel der ganzen Stadt“. Beim Blick in die Eingangshalle glaubten wir ihm sofort. Ehrfürchtig betraten wir das imposante Gebäude, nahmen die Schlüsselkarten für das Doppelzimmer, mit dem wir uns bescheiden begnügt hatten, in Empfang und fuhren mit dem Glasfahrstuhl in den zweiten Stock.

Ein gediegenes Zimmer, ungefähr doppelt so groß wie das im A&O, im Stil der achtziger Jahre erwartete uns nachts um halb eins.

Montag, 19.09.2022

Leider brachte die restliche Nacht wenig Schlaf, da wir dank der angespannten Mietwagen-Situation noch immer nicht wussten, wann, wie und ob wir an diesem Tag nach Hause kommen würden. Uns beiden gingen tausend Gedanken durch den Kopf. Wenigstens hatte ich den Montag frei und auch Daniela entgingen durch die Abwesenheit keine beruflichen Verpflichtungen, dafür einige private.

Nach dem Aufstehen rief ich beim Zahnarzt an, um zwei lange geplante Termine zu verschieben. Meine Erklärung dazu wurde zumindest verständnisvoll aufgenommen.

Das hypergeniale Frühstück entschädigte uns ein wenig für die Strapazen. Notgedrungen ließen wir uns viel Zeit dabei und warteten anschließend im Zimmer auf den Anruf der Versicherung, der erst nach zehn Uhr erfolgen sollte. Wir kamen uns vor wie Tiger im Käfig. Daniela kannte sich in der Stadt aus und wusste, dass unser Hotel nah des Hauptbahnhofs lag.

„Wenn wir keinen Wagen kriegen, fahren wir mit dem Zug“, beschlossen wir, hielten es irgendwann nicht mehr aus und machten uns samt Gepäck auf den Weg in die Lobby. Kurz nach Verlassen des Zimmers ertönte mein Handy. Die niederschmetternde Nachricht lautete: kein Mietwagen in Magdeburg verfügbar, nur in Dessau, sechzig Kilometer entfernt. Wir müssten mit dem Taxi dorthin fahren, wofür uns hundert Euro zur Verfügung stünden, um dann den Heimweg anzutreten.

Also überlegte ich nicht lange, brachte Plan B ins Spiel und verkündete, dass wir mit der Bahn fahren wollten. Auch das war möglich, die Kosten dafür durfte ich bei der Versicherung einreichen.

Gesagt, getan. Zimmerkarten abgegeben, Gepäck gegriffen und per pedes zum Bahnhof gelaufen, der wirklich keine fünf Minuten entfernt lag. Passende Zugtickets zu buchen war vergleichsweise ein Klacks. Wenigstens die Bahn war mal verlässlich und pünktlich. Bis Hannover fuhren wir gemeinsam. Ich verbrachte einen Großteil dieser Fahrt mit Telefonaten und der Suche nach einem Fahrzeug. Verzweiflung erfasste mich ... Die Werkstatt, in der mein Wägelchen stand, erreichte ich über die Nummer nicht, die mich angerufen hatte. Aber eigentlich wollten sie mich ja auch anrufen. Meine Versicherung teilte mir zu allem Überfluss mit, dass mein Recht auf einen Mietwagen durch die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel erloschen sei. Aaargh!

Ich fand mich schon damit ab, zwei Tage lang selbst ein Auto zu finanzieren – aber woher nehmen? Ich hätte es an diesem Tag noch abholen müssen, um morgen früh zur Arbeit zu fahren ...  Erst nach etlichem Suchen im Netz fiel mir ein, dass der Wagen meiner Eltern, die mit dem Wohnmobil Griechenland unsicher machten, ungenutzt in der Garage nebenan stand. Uff, gerettet!

Abends gegen halb sechs erreichte ich mein Zuhause, gerade noch rechtzeitig, um meiner Familie kurz Hallo zu sagen, mir das Auto meines Mannes zu schnappen und zum MRT-Termin in die Helios-Klinik zu fahren. Blödes Knie. Nebensächlich, aber trotzdem nervig.

Nach einem erneut späten Abendessen kam Junior damit um die Ecke, dass am folgenden Tag eine Deutschklausur anstand und er die Gedichtanalyse mit mir durchgehen wolle ...

 

Daniela traf die Bahnfahrt allerdings ein wenig härter. Laut Fahrplan musste sie zweimal umsteigen. Guter Dinge verließ sie in Hannover unseren gemeinsamen Zug und machte sich auf den Weg zu ihrem nächsten. Dieser kam so zügig an, dass sie es gerade noch schaffte, den letzten Wagon zu erreichen: das Speisewagen-Abteil der Ersten Klasse. Hier war sie definitiv nicht richtig! Kurz darauf ertönte eine Durchsage, dass der Zug in Hamm geteilt werden würde. Die vordere Hälfte sollte nach Düsseldorf, der Rest nach Köln fahren. Na toll! Sie war genau im falschen Teil gelandet. Als sie die nette Servicekraft hinter dem Tresen darauf ansprach, verkündete diese: „Tut mir leid, momentan können Sie nicht in den vorderen Bereich wechseln. In der Mitte des Zugs befinden sich zwei Loks. Laufen Sie so weit wie möglich nach vorn und warten Sie bis Hamm. Dort können Sie aus- und wieder einsteigen.“

Gesagt, getan! Leider befanden sich nur noch zwei Wagen der Ersten Klasse vor dem Speisewagen. Deshalb musste die Ärmste fast zwei Stunden im Stehen vor der Tür ausharren.

Bis Hamm hatte der Zug knapp fünfzehn Minuten Verspätung. Daniela raffte eilends ihr Gepäck zusammen und hechtete über den Bahnsteig in den vorderen Teil des Zuges. Ihr schlossen sich einige Mitreisende an, die anscheinend dasselbe Problem hatten. Als die Bahn endlich startete, war die Verzögerung schon auf achtzehn Minuten angewachsen.

 Grandioser Mist! Laut Plan blieben somit in Düsseldorf exakt null Minuten, um von Gleis 1 auf Gleis 7 zu wechseln. Deshalb lohte sich ein erneutes Abhetzen nicht. Die Autorin, inzwischen jeglichen Kummer gewöhnt, schlenderte also langsam los und stellte überrascht fest, dass der Anschlusszug zwanzig Minuten Verspätung hatte. Davon blieben noch achtzehn übrig, aus denen letztendlich fünfundzwanzig wurden. So erreichte sie ihr Ziel knappe fünfundvierzig Minuten später als ursprünglich geplant. Danach hieß es nur noch: duschen, essen und ab ins Bett. Den Wecker stellte sie erst gar nicht.

Dienstag, 20.09.2022

Am Dienstagmorgen ließ mein Wecker mich völlig im Stich. Der vorherige Schlafmangel hatte für einen komatösen Zustand gesorgt, sodass ich erst kurz vor acht von alleine wach wurde – zwei Stunden nach der eigentlichen Weckzeit. Sohnemann war trotz Klausurtermin auch noch daheim, da ich ihm nicht wie üblich einen Apfel geschnitten und ihn diese feinmotorisch ebenso anspruchsvolle wie ungewohnte Tätigkeit zeitlich ins Schleudern gebracht hatte. Es regte mich in meinem Dämmerzustand nur am Rande auf. Selbst die Ankündigung, dass heute doch kein Deutsch, sondern Geschichte anstünde (wofür er kein Stück gelernt hatte), konnte mich kaum schocken. Viel mehr Raum in meinen chaotischen, halb betäubten Gedanken nahm meine eigene Arbeitsstätte ein, bei der ich eigentlich längst sein sollte. Ein Anruf bei meiner besorgten Chefin, eine gestammelte Entschuldigung, dabei hastiges Anziehen und Einpacken aller nötigen Dinge, anschließend die fünfundvierzigminütige Fahrt zur Schule nach Olpe mit dem SUV meiner Eltern, der mir als notorischer Kleinwagenfahrerin viel zu groß vorkam. „Alles erfolgte wie im Traum, ich stand völlig neben mir.“

Der Tag war lang und beschäftigt – kaum Zeit für Anrufe bei der Werkstatt, bei der immer noch niemand ans Telefon ging. Aber eigentlich wollte sich die Schrauberbude ja auch bei mir melden, oder?

 

Mittwoch, 21.09.2022

Mein Wecker ging wieder nicht, aber diesmal hatte ich vorsorglich den Handyalarm gestellt. Endlich schaffte ich es, nach einem kurzen Arbeitstag die ominöse Werkstatt anzurufen. Die bei der Telekom hinterlegte Nummer erwies sich als falsch, die Handynummer wurde wir stets beim dritten Klingeln abgewürgt. Erst die auf der Webseite angegebene Nummer brachte dem gewünschten Erfolg. Es stellte sich heraus, dass mein Auto bisher nicht angerührt worden war und auch niemand Bescheid wusste, was damit geschehen sollte. Langsam entwickelte ich einen Hass auf den netten Abschleppwagenfahrer, der anscheinend nur Blech erzählt hatte. Ich stellte zumindest endlich einen Diagnoseauftrag, bekam das Versprechen, morgen über das Ergebnis informiert zu werden und rief erneut die Assistance an, um den Stand der Dinge durchzugeben. Zumindest erfuhr ich, dass aufgrund der langen Verzögerung ein Anspruch auf Transport meines Wagens zu einer wohnortnahen Werkstatt meiner Wahl bestand, sofern eine konkrete Diagnose vorlag und die Reparatur tatsächlich durchgeführt werden würde.

 

Immerhin - ein Hoffnungsschimmer am Horizont.

Donnerstag, 22.09.2022

Der angekündigte Anruf aus Irxleben erfolgte mal wieder nicht. Ich ich hatte vormittags genug zu tun und wartete hartnäckig bis nach dem nachmittäglichen Arzttermin.

Glücklicherweise erwies sich mein Knieschaden als nicht sonderlich kritisch. Er würde von alleine heilen, wenn ich ihm nur genug Ruhe gönnte. Eine Tragik, die mich als notorische Läuferin, Kampfsportlerin und Bewegungssüchtige wesentlich mehr beschäftigte als mein Auto.

Bei der Ankunft zu Hause mahnte mein Mann trotzdem sofort, ich müsse jetzt unbedingt bei der Werkstatt anrufen.

„Gleich“, gab ich zurück und schnibbelte zuerst Salat und Gemüse für mein spätes Mittagessen. Auf der Homepage stand die Öffnungszeit bis siebzehn Uhr, momentan war es kurz vor vier. Bald darauf versuchte ich es – niemand nahm ab. Nach fünf oder sechs vergeblichen Anrufen erfolgte ein Rückruf übers Handy – vermutlich der Chef persönlich, der mir kurz angebunden mitteilte, ich solle es am folgenden Morgen ab halb neun wieder probieren. Auf meine Frage, wie lange er denn offen habe, antwortete er: „Höchstens bis sechzehn Uhr.“

Wieder ein Anruf bei der Versicherung, um mitzuteilen, dass ich noch immer keine Diagnose hatte. Langsam wurde es oberpeinlich. Aber morgen früh würde ich es ja hoffentlich erfahren.

 

Freitag, 23.09.2022

Morgens rief ich sofort in Irxleben an. Diagnose: Die Injektoren 2 und 3 waren hinüber. Einen Kostenpunkt für die Reparatur konnte man mir nicht nennen. Aber meine Gesprächspartnerin wollte sich danach erkundigen und auch, was der Wagen noch wert sei.

Weitere Telefonate mit Werkstätten in meiner Umgebung erbrachten, dass sie überlastet waren und den Auftrag ungern annehmen wollten. Schließlich konnte ein Unternehmen mir einen konkreten Preis nennen, der mich zwar ein wenig nach Luft schnappen ließ, den meine heimisches VW-Autohaus jedoch noch locker um fast die Hälfte überbot.

Die Irxlebener Werkstatt verlangte hundert Euro mehr als die wohnortnahe Alternative, was mich nicht unbedingt davon überzeugte, es dort machen zu lassen, und bot mir im Gegenzug an, mein geliebtes, ansonsten tadelloses Wägelchen zu einem Spottpreis zu kaufen.

Am Freitagnachmittag erfuhr ich, dass Irxleben den Einzeltransport für den Polo übernehmen würde und die Versicherung zugesagt hatte, diesen zu bezahlen. Innerlich jubelnd vereinbarte ich die Reparatur bei einer Werkstatt in Radevormwald und teilte der Assistance meine Entscheidung mit. Kurz darauf bekam ich einen Rückruf.

„Es tut mir leid, aber der von Ihnen gewählte Reparaturort ist definitiv zu weit entfernt für einen Einzeltransport“, hieß es. „Da können wir nur einen Sammeltransport anbieten. Der dauert bis zu drei Wochen ...“

 Ich regte mich dezent auf, weil der Transport ja schon zugesagt war und mir vorher kein Mensch gesagt hatte, dass es für den Einzel-Pick-up eine Kilometerbegrenzung gab. Der Versicherungsmann beruhigte mich damit, dass er nur anriefe, um meinen Widerspruch weiterzugeben und die Sache in meinem Sinne zu regeln. Ich bat ihn inständig darum. Wenige Minuten später meldete er sich erneut und bestätigte, dass mein Auto in der kommenden Woche wie gewünscht transportiert werden sollte. Uff! 

Mittwoch, 28.09.2022

In der ersten Wochenhälfte gab es keinerlei Rückmeldung vom Verbleib meines blauen Flitzers, also rief ich am frühen Nachmittag erneut in Irxleben an. Niemand ging ans Telefon. Irgendwann ein Handy-Rückruf vom Chef. Auf meine schüchterne Frage, ob der Pick-up schon unterwegs wäre, meinte er lapidar: „Nee, der Wagen steht noch hier. Der Fahrer meldet sich bei Ihnen, wenn er losfährt.“

Ich bedankte mich und legte zweifelnd auf. Okay, mit Zurückmelden hatte es diese Werkstatt nicht so ...

 

Donnerstag, 29.9.2022

Den gesamten Vormittag über kein Lebenszeichen meines Polos. Um die Mittagszeit, mitten im Unterricht, rief mich die Radevormwalder Werkstatt an.

„Wo bleibt ihr Auto?“

„Äh ...“

Die Frage zog mir gefühlt den Boden unter den Füßen weg. Warum hatte ich plötzlich das zwingende Gefühl, mich rechtfertigen zu müssen? Innerlich seufzend gab ich wieder, was mir das Irxlebener Unternehmen gestern mitgeteilt hatte.

„Sie können ja nichts dazu, es wird bloß langsam eng mit dem Reparaturtermin diese Woche“, erklärte mein sympathischer Gesprächspartner. Ich war nicht zum ersten Mal heilfroh, in der kommenden Woche nicht zwingend auf mein Wägelchen angewiesen zu sein.

Freitag, 30.09.2022

Auch an diesem arbeitsreichen Vormittag gab es keine Info aus Irxleben. Ich begann daran zu zweifeln, dass mein Polo jemals wieder heimischen Boden unter den Rädern haben würde. Gegen halb zwei dann plötzlich die Nachricht aus Rade, dass mein Auto angekommen sei. Heureka!

„Heute schaffen wir die Reparatur nicht mehr, aber morgen früh hat jemand abgesagt, da kriegen wir das hin“, verkündete mein Kontaktmann. Ich konnte ihm gar nicht genug danken.

 

Samstag, 01.10.2022

Gegen halb zehn war die Werkstatt bereits wieder am Apparat – mein Wagen war fertig! Nach einem gemütlichen Familienfrühstück machten meine bessere Hälfte und ich uns also auf den Weg nach Radevormwald, etliche leere Getränkekisten und einen Einkaufskorb im Gepäck. Auf dem Rückweg wollten wir uns zum Einkaufen aufteilen. Zehn Minuten später strahlte mich mein blauer Flitzer vom Werkstatt-Parkplatz aus an. Hatten die ihn geputzt? Mein Herz entbrannte vor Wiedersehensfreude und ich war sogar noch glücklich, als ich die Karte zückte, um die (horrende) Rechnung zu bezahlen und endlich wieder einzusteigen.

Ich wurde darüber aufgeklärt, dass die Diagnose aus Irxleben nicht ganz richtig gewesen war – der Meister hatte zum Glück noch mal nachgeprüft und dann die Injektoren 3 und 4 ausgetauscht ...

Leider hielt meine Zufriedenheit nicht einmal einen Kilometer an. Kaum hatte ich den ersten Kreisel passiert, fing mein Fahrzeug an zu rütteln und zu bocken. Zunächst dezent, dann immer heftiger. Also drehte ich auf dem Parkplatz des Discounters, den ich eigentlich aufsuchen wollte und fuhr grummelnd wieder zurück. Mist!

Inzwischen war es kurz nach zwölf und der zuständige Mechaniker hatte Feierabend gemacht, was ich ihm nicht übelnehmen konnte. Der Mann an der Kasse sah mich erstaunt an. „Komisch, der Wagen ist bei der Probefahrt einwandfrei gelaufen. Aber lassen Sie ihn ruhig hier. Wir schauen Dienstag noch mal danach.“

Seufzend erinnerte ich mich an den Feiertag.

Mein Göttergatte, der soeben vor dem Getränkemarkt unseres Heimatstädtchens angelangt war, hörte sich nicht eben begeistert an, als ich ihn bat, mich wieder abzuholen.

 

Dienstag, 04.10.2022

Ziemlich gechillt verbrachte ich den Vormittag am Rechner – ist so schön, wenn man frei hat! Gegen Mittag rief der nette Werkstatt-Mensch an und verkündete, irgendein Filter hätte sich total zugesetzt gehabt, den hätte der Meister gereinigt, neu angelernt und jetzt würde der Wagen wieder rund laufen.

„Sie brauchen nichts weiter zu bezahlen, kommen Sie einfach vorbei und holen Ihr Auto ab.“

Das waren die Worte, die meinen Tag perfekt machten. Selig wartete ich auf die Rückkehr meiner besseren Hälfte, die dank des schönen Wetters eher Feierabend machte, wir legten erneut die zehn oder zwölf Kilometer bis Rade zurück und – Jubel – da stand mein Flitzer im Sonnenschein, sprang klaglos an und brachte mich mit gewohnter Zuverlässigkeit nach Hause. Jaaaa! Es waren auch noch alle Bücher drin, sowohl meine als auch Danielas. Vielleicht kann ich ihre bis zur BuchPassion in Köln Anfang November behalten? Denn dort planen wir erneut einen gemeinsamen Messeauftritt ... 🙃

Aber das ist eine andere Geschichte. 😁

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